Im Gespräch mit Prof. Dr. med. Giancarlo Natalucci
.jpeg)
Dr. Natalucci, bitte stellen Sie sich unseren teilnehmenden Eltern kurz vor!
"Ich bin Kinderarzt mit einem großen Interesse an der Forschung"
Ich bin Kinderarzt mit einem großen Interesse an der Forschung und habe das Glück, eine wunderbare Forschungsgruppe an der Universität Zürich zu leiten. Ich bin in Lugano im Tessin geboren und aufgewachsen, und meine Familie stammt aus den Bergen der Provinz Lucca in Italien. Ich bin also Schweizer und Italiener.
Sie sind also Arzt und leiten gleichzeitig das Forschungsprojekt LEARN. Wie sind Sie als Arzt in der Forschung gelandet? Was hat Sie zu diesem Bereich hingezogen?
"Bei diesen Kindern mit Entwicklungsrisiken gibt es noch sehr viel zu lernen."
Vielen Dank für Ihre Frage. Nach einer Tätigkeit als Arzt in der allgemeinen Pädiatrie habe ich mich in der Entwicklungspädiatrie spezialisiert. In diesem Bereich habe ich mit der Untersuchung der Entwicklung von Kindern mit Entwicklungsrisiken begonnen und dabei ein großes Interesse entwickelt. Davor hatte ich bereits Erfahrung in der Neonatologie gesammelt. Die Kenntnis der Herkunft und der vorliegenden Probleme dieser Kinder hat mich sehr beeindruckt und war für meine persönliche Entwicklung von großem Nutzen. Im Anschluss habe ich zwei Mentoren für meine Karriere gefunden, die Co-Chefin der Entwicklungspädiatrie am Kinderspital Zürich und den ehemaligen Chef der Neonatologie des Universitätsspital Zürich. Mit ihnen habe ich ein Karriereprojekt diskutiert und bilateral vorgeschlagen, wodurch ich mich auch in der Neonatologie spezialisiert habe und im Weiteren praktiziert habe. In der Folge fungierte ich als Verbindungsglied zwischen den beiden Zentren.
Bei diesen Kindern mit Entwicklungsrisiken gibt es noch sehr viel zu lernen. Mein Alltag bestand damals wie auch heute nicht nur aus klinischer Intervention oder Diagnostik, sondern auch aus Forschung. Jeden Tag gibt es neue Erkenntnisse. Jedes dieser Kinder, beispielsweise Frühgeborene, ist einzigartig und steht an der Schwelle unserer medizinischen Fähigkeiten. In dem Sinn darf man alle Erfahrungen, die man täglich macht, als Teil eines Lernprozesses definieren, durch welchen wir mehr über den weiteren Verlauf erfahren und daran arbeiten können, um die Behandlungen zu optimieren. So bin ich automatisch in die klinische Forschung gekommen.
Wie kann man sich Ihren Alltag als Arzt und Forscher vorstellen?
"Ich sehe es als meine Aufgabe, sie zu informieren, zu beraten und zu unterstützen."
Als Arzt ist es mir ein besonderes Anliegen, mit den Patienten in Kontakt zu sein, in meinem spezifischen Bereich natürlich auch mit den Eltern. Ich sehe es als meine Aufgabe, sie zu informieren, zu beraten und zu unterstützen. In meiner täglichen Arbeit als Arzt habe ich das Privileg, weiterhin Kinder zu behandeln. Ich führe Entwicklungsuntersuchungen mit ehemaligen frühgeborenen Patienten der Klinik durch und begleite die Familien auch nach der Entlassung von der Neonatologie. Als Forscher nutze ich die Daten, die wir auf der Neonatologie von den Kindern erheben, um Analysen durchzuführen. Dadurch kann ich das große Ganze besser verstehen und feststellen, wie es den Kindern geht und welche Interventionen wir anbieten könnten, um ihre Gesundheit zu fördern.
Und wenn Sie nicht arbeiten, wo kann man Sie dann finden?
In meiner Freizeit verbringe ich gerne Zeit zu Hause mit meiner Familie, also meiner Frau und meinen zwei Töchtern, insbesondere im Garten. Darüber hinaus zählen Familienausflüge zu historischen Stätten und archäologischen Funden zu meinen bevorzugten Aktivitäten. Ich würde meine Freizeit gerne häufiger mit Familienausflügen verbringen, doch in der Realität bin ich öfter zu Hause.
Kommen wir nun zum Projekt LEARN. Welche war für Sie die zentrale Fragestellung, als Sie mit dem LEARN-Projekt begonnen haben?
"Die beiden Aspekte Ernährung und Lernumgebung spielen im Alltag eine entscheidende Rolle."
Mit LEARN konnte ich gemeinsam mit dem Team mein Interessenspektrum etwas erweitern. Während ich mich früher auf Kinder mit Risiken fokussiert habe, bietet mir LEARN nun die Möglichkeit, die Allgemeinbevölkerung von Neugeborenen zu betrachten.
Die zwei Hauptfragen, die ich mir stellte, waren folgende: Einerseits besteht das große Interesse, den Einfluss der frühen Ernährung auf das Wachstum und die spätere Entwicklung des Neugeborenen zu erforschen. Gleichzeitig ist auch der Einfluss der Lernumgebung auf die Entwicklung des Kindes von großem Interesse. Die beiden Aspekte Ernährung und Lernumgebung spielen im Alltag eine entscheidende Rolle. Aus diesem Grund habe ich mich dazu entschlossen, eine entsprechende Studie zu initiieren.
In LEARN erforschen Sie die langfristigen Effekte der frühkindlichen Ernährung. Wieso ist Ernährung wichtig?
Die Bedeutung einer ausgewogenen Ernährung für die gesunde Entwicklung von Kindern ist vielfach belegt. Dabei unterscheide ich gerne zwischen zwei Arten von «Ernährung». Die Ernährung, die durch den Darm aufgenommen wird, und die durch kognitive Stimulation erfolgte «Ernährung». Diese beiden Elemente – Ernährung und kognitive «Ernährung» – sind untrennbar miteinander verbunden und beeinflussen unser gesamtes Leben. Diese maßgeblichen Faktoren wollte ich nicht trennen sondern vielmehr in meiner Studie kombinieren.
Welchen Nutzen hat die Schweizer Bevölkerung von Ihrer Forschung zu LEARN?
"Für einen normalen Bürger ist LEARN von großer Relevanz"
LEARN legt den Fokus auf die frühesten Lebensjahre des Kindes, insbesondere auf die Ernährung. Die ersten Lebensmonate sind eine entscheidende Phase im menschlichen Leben. Für einen normalen Bürger ist LEARN von großer Relevanz, da es darum geht, zu eruieren, wie die erste frühe Phase des Lebens des Kindes bestmöglich gefördert werden kann.
Unsere Zielsetzung besteht im Grunde genommen in der Ermittlung der Möglichkeiten zur Gewährleistung einer frühen Unterstützung von Familien. Zudem ist zu klären, ob es zum Beispiel erforderlich ist, dass Mutter und Vater eine gewisse Zeit mit ihrem Baby zu Hause verbringen, um den Schutz der Familie unmittelbar nach der Geburt und auch langfristig zu sichern. Dient dies dem Schutz der Familie und stellt es eine wichtige Voraussetzung für deren langfristige Stabilität dar?
Welcher Teil Ihrer Forschung gefällt Ihnen am besten?
"Auf diese Weise erhält man Antworten, die nicht auf Anekdoten basieren"
Einerseits entspricht die von mir durchgeführte Forschung meinen Vorstellungen, da sie im Wesentlichen die gleiche Methode anwendet, die ich auch in der Klinik anwende. Das bedeutet, dass ich bei Kindern Entwicklungsuntersuchungen durchführe und auf dieser Grundlage den Eltern klinisch relevante Informationen, Tipps und Feedback geben kann.
Des Weiteren schätze ich an der Forschung, dass sie es mir ermöglicht, konkrete Fragen zu beantworten, was durch Alltagsbeobachtungen ohne systematische Erfassungen nicht möglich wäre. So lassen sich Antworten gewinnen, die eine Generalisierung zulassen. Auf diese Weise erhält man Antworten, die nicht auf Anekdoten, sondern auf einer soliden Datenlage basieren.
Und zu guter Letzt: Wie ernähren Sie sich? Was ist Ihre Lieblingsspeise?
Ich ernähre mich überwiegend nach den Grundsätzen der Mittelmeerdiät, was bestimmt auch auf meine italienischen Wurzeln zurückzuführen ist. Meine Präferenz hinsichtlich meiner Lieblingsspeise variiert. Derzeit zählen Fisch und Oliven in all ihren Varianten zu meinen Favoriten.
Dr. Natalucci, vielen Dank für Ihre Zeit und und Ihr Engagement bei der wichtigen Arbeit, die Sie mit LEARN leisten!
Ich danke Ihnen für das nette Interview!